Georgius Agricola über Maß und Gewicht seit der Antike

Professor em. Dr. Harald Witthöft über Georgius Agricola (1494-1555) über Maß und Gewicht seit der Antike und zu seiner Zeit. Mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt für Unze.de

Georgius Agricola (PDF-Version inkl. Quellenverzeichnis)

Es ist nicht jedermanns Sache, sich mit Fragen zur Geschichte von Maß und Gewicht auseinanderzusetzen. Wer sich jedoch für AGRICOLA und sein Werk interessiert, der wird zwangsläufig mit der Tatsache konfrontiert, dass der Umgang mit und das historische Interesse für Messen und Wiegen in der frühen Neuzeit eine auffallende Bedeutung besaß. Die Zeit vom 15. bis zum späteren 18. Jahrhundert sollte zu einer Epoche erster wissenschaftlicher Beschäftigungen mit der historischen Metrologie werden. Eine umfangreiche Überlieferung an Arbeiten "De mensuris et ponderibus" legt davon Zeugnis ab. GUILLAUME BUDÉ (BUDAEUS) und LEONARDO DE PORTE (PORTIUS), dann ALCIATUS und auch AGRICOLA, der sich mit ersteren auseinandersetzte, stehen am Anfang.

Nur auf den ersten Blick ist es sonderbar, dass es dem europäischen Mittelalter an einer vergleichbaren Überlieferung nahezu völlig mangelt. Messen und Wiegen, Maß und Gewicht wurzelten in der materiellen Kultur, dem alltäglichen Leben. Hier wurden die Einheiten, das Rechnen und die praktischen, handlichen Realisationen bewahrt, tradiert und weiterentwickelt. Die geistige Kultur nahm sich derartiger Fragen nicht bzw. nur auf einem abgehobenen philosophischen bzw. theologischen Niveau an.

Das änderte sich in vielfacher Hinsicht seit dem 14./15. Jahrhundert. Das kaufmännische Rechenwesen erhielt ein schriftliches Gesicht, Theologie und Ökonomie begannen sich auf rationalem Felde auseinanderzusetzen, das literarische Erbe der Antike wurde im Humanismus zum Lehrmeister verschiedener Wissenschaften. Die numerische Überlieferung in den alten Texten forderte zum Verstehen heraus. Zu jenen, die versuchten, das antike Maßwesen in eine verständliche Form zu bringen, gehörte GEORGIUS AGRICOLA. Das Verstehen von Maß und Gewicht wurde für ihn ein Schlüssel zur literarischen Welt der Antike, zumal jener der Medizin und Pharmazie - wenn man dem gängigen Verständnis von Person und Werk des AGRICOLA folgen darf.

Maß, Gewicht und Zahl lagen - nach heutigem Verständnis - einer Erkenntnis der materiellen Ordnung der Welt seit den Zeiten der Frühen Hochkulturen zugrunde, und sie waren AGRICOLA als elementare Strukturen auch von Bergbau und Hüttenwesen, von Gewerbe und Industrie, von Geld- und Münzwesen zuhanden. Seine Aufenthalte in Italien, zumal in Venedig und Bologna, sodann in Joachimsthal und schließlich in Chemnitz brachten ihn mit Forschungen zur medizinischen und pharmazeutischen Literatur der Antike und mit der Praxis des Bergbaus in Berührung; sie ließen ihn ein Leben als Apotheker und Mediziner, schließlich auch als städtischer Honoratior und Politiker führen.

Wir suchen nach den Äußerungen des AGRICOLA zu Fragen von Maß und Gewicht und werden fündig. Eine streitbare Auseinandersetzung vor allem mit ALCIATUS "De mensuribus et ponderibus" (1530) ließ ihn in den engeren Kreis der publizierenden Humanisten eintreten. Zwischen 1533 und 1549/1550 veröffentlichte er insgesamt 13 Bücher, die der historischen Metrologie zugerechnet werden. Dazu finden sich in vierten seiner 12 Bücher vom Berg- und Hüttenwesen aus dem Jahre 1556 Bemerkungen zum Umgang mit Maß und Gewicht - dazu auch ein seltener Querverweis auf seine Schrift "De restituendis mensuris et ponderibus".

Hier dienen sie der Erklärung alltäglicher Arbeitsprozesse, dort dem systematischen Verständnis des antiken Maß- und Gewichtswesens. Ein Anhang zu den metrologischen Büchern von 1549/1550 erklärt

"die lateinischen Zahlzeichen nach VALERIUS PROBUS sowie die Art der Bildung lateinischer Ausdrücke für die großen Zahlen über 1000".

So dann

"folgen für etliche Maße und Gewichte die deutschen Bezeichnungen"

mit dem Zusatz, es fassten

"unsere Maße mehr als die alten römischen, und ebenso sind unsere Gewichte schwerer als die alten".

Den Schluss bilden kommentierte Aufstellungen der Flüssigkeits- und Trockenmaße samt der Gewichte und Längenmaße in Chemnitz sowie schließlich der "Gewichte der Münzmeister" und der Meißner Münzen.

AGRICOLA wendet sich damit ausdrücklich auch an die deutsch lesende Klientel seiner engeren Heimat, stellt eine Verbindung her zwischen den Maßen und Gewichten der Antike und seiner Zeit in seinem Lande. Er akzentuiert schließlich noch einmal jenes Instrument, das der Forschung erlaubte, Brücken aus der Gegenwart in die antike Vergangenheit zu schlagen - die Mark der Gold- und Silbermünzmeister, dazu die wichtigsten Münzen und Münzgewichte.

AGRICOLA legte ausgewählte Spuren, orientierte sich an Einheiten/Begriffen und deren Zahlen. Sein Interesse war sektoral, richtete sich nicht auf ein abstraktes Ganzes, nicht auf den Grundtypus eines älteren Maß- und Gewichtssystems. Was nun finden wir bei und durch AGRICOLA zu Maß und Gewicht im einzelnen überliefert? Was ist das Besondere an seinen metrologischen Schriften, das Bleibende für die Geschichtswissenschaft?

AGRICOLA "De mensuris et ponderibus" und über die Wiederherstellung der Gewichte und Maße der Antike

Der erste Eindruck der metrologischen Bücher AGRICOLAS ist, dass sie uns einführen in die gelebte Antike in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Für AGRICOLA waren "ausländische" Maße die persischen, ägyptischen, syrischen, hebräischen und arabischen, nicht aber die griechischen und römischen. Es waren letztere Maße, die noch unmittelbar die Welt seiner wissenschaftlichen Ziele und praktischen Erfahrungen ordneten. Die antiken Längenmaße behandelte er als "Maße, mit denen wir Entfernungen messen", begann jedoch zu differenzieren. "Wie aber ein jeder Staat eigene Gewichte und Maße hat, so ist es auch in der Wissenschaft, die sich besonders der griechischen und römischen bedient". Anders als BUDAEUS und ALCIATUS unterschied er generell zwischen Maßen und Gewichten für trockene und für flüssige Dinge.14 Und er vertrat die Auffassung, griechische und römische Maße seien unterschiedlich groß gewesen.

Seine metrologischen Schriften der 30er und 40er Jahre spiegeln einen Wandel in seinen Erfahrungen und seinem Denken, in seinem forschenden Interesse, in seinen Zielen und Methoden. Mit den fünf ersten Büchern über "Maße und Gewichte der Römer und Griechen" (1533) beteiligte er sich an einer philologischen und literarischen Diskussion, an der teilzunehmen ihn seine medizinischen Studien in Venedig und Rom (1524-1526) angeregt haben dürften. Erst in seinen späteren Schriften von 1549/1550 wird erkennbar, dass AGRICOLA auch die in Italien einsetzende Suche nach den realen Überresten an Maßen und Gewichten der Antike bereits früher wahrgenommen und deren quantitative Untersuchung erhofft hatte.

Mit der "Wiederfeststellung der Gewichte und Maße" (1549) begann der Kreis seiner Argumente sich zu schließen. AGRICOLA tat den Schritt von der literarischen zur materiellen Überlieferung der Objekte, und er bemühte sich nunmehr, "die alten Gewichte und Maße in den vorigen Stand zu setzen". PRESCHER meint, AGRICOLA habe diese Arbeit aus ökonomischen, politischen, rechtlichen und ärztlichen "Bedürfnissen" für geboten gehalten.

Für AGRICOLA stand fest, dass nur eine sorgfältige Erörterung der Methode auch den Ergebnissen seiner Forschungen die nötige Sicherheit verlieh.

Anderen Autoren seiner Zeit hielt er ein fehlendes Methodenbewusstsein vor; das mache es unmöglich, sich zu ihren Bemühungen zu äußern. Es gebe beispielsweise zu viele Maße und Gewichte in Stadt und Land, als dass sie alle für die Forschung gleichermaßen wichtig sein könnten. Zwar vermöge dem Kaufmann die Kenntnis "vieler landläufiger Maße und Gewichte großen Nutzen bringen", doch folge daraus nicht, dass sie "auch für die dem Studium der Wissenschaften Ergebenen passend und nützlich" seien.

"Die Gelehrten forschen nämlich nach der behördlich festgesetzten Schwere der antiken Gewichte und nach dem gesetzlichen Fassungsvermögen der alten Maße. Daher muss man, soweit es möglich ist, einen sicheren Richtweg verfolgen."

Dieser Richtweg führte nach Ansicht von AGRICOLA zum einen über die "von der Natur vorgegebenen Dinge. Das waren Getreidekörner oder Samen von Hülsenfrüchten oder Samen von Früchten oder Früchte selbst oder schließlich Eier". Die Ärzte hatten zwar in ihrem Bemühen, das Gewicht von Samen oder Frucht zu bestimmen, "dass unbestimmte Gewicht dieser Naturdinge richtig festgesetzt durch das bestimmte Gewicht eines künstlichen Dinges", doch hatten all jene nicht recht, die meinten, mit diesen Hilfen "die eigentliche Schwere der antiken Gewichte erklären oder wieder feststellen zu können".

Ein zweiter Weg erschloss sich ihm über die "künstlichen Dinge", über die erhaltenen Objekte als Zeugnisse der Gesetzgebung: das antike Pfund, die alten Münzen und den römischen Fuß. Die Hoffnung, auf ein altes Libra-Gewichtsstück zu stoßen, hatte AGRICOLA bereits vor 1549 aufgegeben. "Da nun dieses Gerücht über den Fund des römischen Pfundes enttäuscht hat, wollen wir die alten Münzen genau abwiegen".

Die methodischen Überlegungen AGRICOLAS sind noch heute von grundsätzlicher Bedeutung. Er unterschied ein ärztliches von einem legalen Gewichtswesen der Antike. Beide waren exakt, konstant, in der Praxis verlässlich und dennoch nicht identisch. Wir dürfen sie als Spiegelungen der älteren Entwicklungsgeschichte von Maß und Gewicht verstehen - von unterschiedlichen Phasen der Erkenntnis der Natur und der Formierung der Gesellschaft. AGRICOLA ist diese duale Struktur in der Überlieferung des älteren Maßgebrauchs augenscheinlich bewusst; er wird ihr in seinem methodischen Vorgehen gerecht.

Den Ärzten schrieb er die Leistung zu, Körner oder Samen "richtig festgesetzt [zu haben] durch das bestimmte Gewicht eines künstlichen Dinges" - z. B. eines Scripulum oder einer Drachma. Da diese Körner und Samen die kleinsten (Rechen-)Einheiten des älteren Gewichtswesens waren, stand die ärztliche Kunst für eine natürliche, ursprüngliche Einheit von elementaren Dingen und Gewicht/Gewichtsstück, ausgedrückt und genutzt mit Hilfe der Zahl.

Mit der "eigentlichen Schwere der antiken Gewichte" meinte AGRICOLA hingegen die "behördlich festgesetzte Schwere", d.h. die reale Masse von Einheiten/Stücken des legalen, durch herrschaftliche Akte geschaffenen, bestätigten oder geregelten Gewichtswesen - z. B. Libra oder Uncia, niemals jedoch Scripula oder Grana. Zwar benutzte er "die kleineren Gewichte als Maße der Klärung halber", doch war "diese uncia nicht im Marktverkehr in solche eingeteilt". Wie der Fuß bei den Längenmaßen und der Sextarius bei den Hohlmaßen, so war die Libra das Gewicht, "von dem man ausgeht". "Durch Vervielfachung der Libra kommen die größeren Gewichte zustande, durch Teilung die kleineren". Die größeren Gewichte behandelte er nicht, "weil aus der Libra ja alles besteht und dafür bei den Römern keine Bezeichnungen vorhanden sind, abgesehen von centumpondium, das eben hundert librae beträgt".

Die konkrete metrologische Argumentation AGRICOLAS beruhte auf seiner Überzeugung, dass der römische Sextarius "das Fundament der ganzen Kenntnis von den Maßen bildet". Gegen PORTIus, ALCIATUS und BUDAEUS verfocht er die These, dass der Sextarius nicht mit Hilfe der Gewichtsunze, sondern der Maßunze definiert worden sei. Dieser Sextarius habe ein festgelegtes Fassungsvermögen besessen; sein Gewicht konnte jedoch mit den verschiedenen Füllungen variieren. Gemessen und gewogen wurde mit Hilfe von "uncia" und "libra", d. h. es gab Maßunzen und Gewichtsunzen ebenso wie Maßlibrae und Gewichtslibrae.

Gewichtsbestimmungen konnten wegen schwankender Gewicht-Volumen-Relationen der jeweiligen Produkte Schwierigkeiten bereiten, die jedoch beim Öl nicht bestanden. Nach Ansicht von AGRICOLA hatten deshalb die Griechen mit Hilfe des Öls "die attischen Maße, die wir auch ärztliche Maße genannt haben, einheitlich geregelt". FANNIUS rechnete das spezifische Gewicht von Öl, Wein und Honig mit einer konstanten Relation von 18:20:30.34 Wie aus der Antike überliefert, bezog auch AGRICOLA die materiellen Voraussetzungen des Messens und Wiegens in seine Überlegungen mit ein.

Der Öl-Füllung eines besonderen Gefäßes, eines "Libralhornes" zu 12 Unzen, entsprachen nach einer Messung des Galen 10 römische Gewichtsunzen. Folglich musste es möglich sein, das gesuchte Volumen der Hemina mit Hilfe ihres Gewichtes an Öl und auf diesem Wege die alten Maße überhaupt zu bestimmen: vom Pondus zur Mensura. Er kehrte damit die Rangfolge der Maßarten um und änderte den Titel dieses einen Buches entsprechend.

Da AGRICOLA aus der Überlieferung zur römischen Münz- und Geldgeschichte zuvor heraus gearbeitet hatte, dass 7 gesetzliche Denare von bekanntem Gewicht auf eine Unze und 12 Unzen auf eine römische Libra zu rechnen seien36, konnte der Versuch einer Wiederherstellung der alten Maße beginnen:

"In die eine Waageschale lege man 10 Gewichtsunzen, in die andere gieße man Öl. Wenn keine überwiegt, wird das Gefäß, das soviel Öl fasst, ein römisches Pfund sein. Das Gefäß teile man in 12 Maßunzen; 10 davon werden 1 römische Hemina sein".

Zur Überprüfung und Bestätigung dieses Ergebnisses schlug er einen anderen Weg ein, auf dem man "zuerst die Maße, dann die Gewichte wieder feststellen" konnte. Eine Voraussetzung war das geschlossene System des antiken Maßwesens und mit dessen Hilfe die Rekonstruktion des römischen Fußmaßes.

Damit hatte AGRICOLA in der Untersuchung des antiken Maßwesens methodisch einen großen Schritt getan - vom Ding als Zahl in der geistig-literarischen Kultur zum Ding als konkretem Gegenstand in der materiellen Kultur.40 Er stützte sich nunmehr auch auf die Überlieferung von realen Objekten wie der Münzen41 und Fußmaße, und er verlangte eine kontrollierbare Übereinstimmung der Ergebnisse verschiedener experimenteller Untersuchungsstrategien.

"Und wenn so, sowohl diese Gewichte so schwer sind, wie die, die wir aus den gesetzlichen Denaren hergestellt haben, als auch die Maße das gleiche Fassungsvermögen haben, sind wir sicher, das erreicht zu haben, was wir gesucht haben."

Wir finden Hinweise auf verbindende zeitgenössische Maße und Gewichte des 16. Jahrhunderts vor allem in den letzten drei Büchern "Vom Preis der Metalle und Münzen", mit denen AGRICOLA neues Terrain betrat.43 Bei dem Versuch, seine beiden Ableitungen mit Hilfe metrischer Einheiten nachzuvollziehen, stößt man jedoch auf Schwierigkeiten. AGRICOLA stützte sich auf nur eine einzige "römische" Libra und die ihr entsprechende schwere Uncia. Weitere Librae, wie z. B. die leichtere "oskische" Libra44 im Gewicht von lediglich 10 schweren = 12 leichten römischen Unzen, waren ihm nicht bekannt.

AGRICOLA ist bei seiner Interpretation der von Galen erwähnten Libra Öl offenbar ein Missverständnis unterlaufen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit muss die entsprechende Gewichtslibra entgegen der Annahme AGRICOLAS nicht zu 12, sondern zu 10 schweren = 12 leichten Unzen gerechnet werden - wie es auch Isidor überliefert. AGRICOLAS These von der metrologischen Bedeutung der Maßuncia Öl gerät ins Wanken. Nach AGRICOLA entsprachen 10 Gewichtsunzen (à 27,2875 g) der schweren römischen Libra (12 Gewichtsunzen = 327,45 g) einer Maßlibra Öl von 12 Maßunzen, d.h. einer Maßlibra mit einem Volumen von 10 x 27,2875 x 10/9 = 303,194 ccm. 10 dieser Maßunzen oder 252,662 ccm ergäben eine Hemina. Dieses Ergebnis widerspricht jedoch dem heutigen Stand der Forschung, die für die Hemina ein Fassungsvermögen von etwa 274 ccm annimmt47 - das Volumen von 10 schweren oder 12 leichten römischen Unzen Wassergewicht.

Korrigieren wir diesen Ansatz, dann ist eine "Wiederfeststellung" römischer Basiseinheiten auf den von AGRICOLA angelegten Wegen mit aller gebotenen Vorsicht auch metrisch tatsächlich möglich - mit Hilfe der von ihm gespannten Ketten von Relationen zwischen Denarii/Libra-Dukaten/Mark einerseits und Amphora/Quadrantal-Pes/Fuß andererseits.

Ausgehend von einer Mark Nürnberg zu 238,894 g stößt man auf das metrische Äquivalent einer Libra Rom von 326,736 g. Legt man die Länge eines Pariser Fußes mit 333,96 mm zugrunde, dann lässt sich der Pes Romanus (= 16/18 Fuß Paris) mit 296,853 mm ebenfalls metrisch definieren. Nach den Relationen des AGRICOLA folgt daraus das Volumengewicht einer Hemina Wasser/Wein mit 272,491 g oder 10/12 Libra à 326,989 g.

Zieht man zum Vergleich die Relationen zu einer Chemnitzer oder sächsischen Elle heran, die AGRICOLA ebenfalls nennt, dann ergeben sich - nach unserer Kenntnis einer metrischen Länge dieser Elle von 566,38 mm - abweichende Werte: 1 Fuß Rom = 32/62 Elle Chemnitz = 292,325 mm. Die Rechnung mit einem Fuß von 292,325 mm führt über ein Quadrantal von 24,9 l auf eine Hemina von lediglich 260,211 ccm und eine Libra von 312,253 g.

Den "Pes Romanus in XII uncias divisus" sowie den "Pes Romanus in XVI digitos divisus" legte AGRICOLA seinem Werke auf Papier gedruckt bei. Für unser Verständnis der Systematik der Längenmaße bzw. ihres Ursprungs ist die Überlieferung ihres berufsspezifischen Gebrauchs hilfreich. Baumeister benutzten "Finger, Handbreit und Fuß", Geographen "den Passus und das Milliare", landwirtschaftliche Schriftsteller "pes [Fuß], passus [Doppelschritt], actus [Treib], clima (Hang), versus [Gewann], actus quadratus [Quadrattrift] und jugerum [Morgen]".

Die von AGRICOLA überlieferten Zahlenwerte zur Verknüpfung von Maß und Gewicht der Antike und des 16. Jahrhunderts waren grundsätzlich richtig. Seine These jedoch, die Griechen hätten mit Hilfe des Ölgewichts die ärztlichen Maße einheitlich geregelt, trägt zum Verständnis der antiken Überlieferung nicht bei. Vielmehr ist mit BUDAEUS, ALCIATUS und PORTIUS anzunehmen, dass die Unciae des Sextarius sich "auf das Gewicht bezogen, nicht auf das Maß". Es steht auf einem ganz anderen Blatt, dass AGRICOLA die Möglichkeit einer hinreichender Differenzierung und Verifizierung noch fehlte. Bis heute ist es ein Problem der Forschung geblieben, die Fülle der antiken und mittelalterlichen Überlieferungen angemessen zu strukturieren und nur Vergleichbares miteinander in Beziehung zu setzen.

AGRICOLA interpretierte Wertangaben der antiken Literatur in seinen abschließenden Büchern "De precio metallorum et monetis" mit Hilfe von Münz- und Gewichtseinheiten der Antike und seiner Zeit. Dazu stellte er Fragen nach den Eigenschaften bestimmter Metalle sowie nach Gewicht und Legierung griechischer und römischer, auch "ausländischer" Münzen, zu denen er europäische Münzen des 16. Jahrhunderts in Beziehung setzte. Wiederum folgte er den Spuren von BUDAEUS, meinte aber, die Überlieferung "viel ausführlicher und genauer durchgearbeitet" zu haben.

Durch zeitgenössische Ereignisse - wie z. B. die allgemeine Teuerung in der frühen Neuzeit - ließ AGRICOLA sich anregen, diese Erörterungen in den Zusammenhang von Überlegungen zum Wert irdischer Güter, zum Verhältnis von Wert und Preis, von Tausch und Münze zu rücken. Sein Standpunkt in Gelddingen war auch der des wettinischen Hauses. Seine Fragen zu Maß und Gewicht verbanden sich mit wirtschaftlichen Überzeugungen. AGRICOLA hat die Ökonomie seiner Zeit nicht zum Gegenstand einer eigenständigen Schrift gemacht. Aber er fügte seinen späteren Schriften ökonomische Erörterungen ein - gestützt auf Maß und Gewicht einerseits, Erz, Metall, Münze andererseits, einmündend in Nachrichten von Bergbau und Kaufmannschaft, "von den Einkünften, von den Einschätzungen, von den Löhnen, von Geschenken und gewissen Aufwendungen, vom Preis der Sklaven und anderer Dinge, von den Zinsen".

Regionale Maße und Gewichte - Horizonte der Wahrnehmung

Das Wenige, das wir durch AGRICOLA von Maß und Gewicht der Territorien und Städte seiner Zeit erfahren, ist bezeichnend genug. Er zog eine Reihe von zeitgenössischen regionalen europäischen Einheiten heran, erörterte aber kein Reichsgewicht, keine Maßgesetzgebung des Reiches oder der Territorien, geschweige denn imperiale oder regionale Normalgewichte eines ggf. grundständigen deutschen mittelalterlichen Maß- und Gewichtswesens. AGRICOLA verband vielmehr das bestimmte, strukturierte Maßwesen seiner Zeit grundsätzlich mit der Ordnung und der Gesetzgebung der Antike:

"Aber wie heute an den meisten Plätzen sozusagen Typen oder Probestücke von Maßen und Gewichten in Normalform aufbewahrt werden, unter behördlicher Aufsicht [...] so erklärt FANNIUS ganz deutlich, dass es eine römische amphora, dem Jupiter geweiht, einst auf dem Tarpejischen Berg, auf dem das Capitol stand, gegeben habe".

AGRICOLA nannte Fakten, aber keine Veränderungen, fragte nach den Ursprüngen und nach dem rechten Maß, aber nicht nach dem Wandel. Es ist bezeichnend, dass der Humanist AGRICOLA bei aller Kenntnis der Literatur z. B. die Gattung der kaufmännischen Rechenbücher und Handbücher seiner Zeit nicht erwähnt. Den praktischen Kenntnissen der Kaufleute maß er keinen normativen Wert bei.

Dennoch sind die Beispiele und Reflexionen AGRICOLAS zum Messen und Wiegen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sehr informativ. In seinen Schriften von 1533 finden sie sich nur vereinzelt. Zahlreicher werden sie in den Widmungsbriefen und Büchern von 1549/1550, schließlich eingebunden in seine Überlegungen zu Münzen und Preisen, Geld und Waren als Faktoren zeitgenössischer Wirtschaft in Sachsen und anderen deutschen Territorien. Gegen PORTIUS führte er z. B. die verschiedenen Pfundgewichte von Venedig ins Feld:

"Das schwere Pfund verwenden die Venezianer, wenn sie frisches Fleisch und Pökelfleisch wiegen, ..., Wismut, Blei, Eisen. Kurz, sie verwenden es, wenn sie eine große Masse jeweils von etwas ganz Schwerem wiegen. Das leichte Pfund verwenden sie, wenn sie Alaun wiegen, ..., Seidenfäden, Scharlachfarbe, Zimmet, Pfeffer und alle Arten Gewürze. .... Den Silberbes, den sie mit unserem Worte Mark bezeichnen, verwenden sie zum Abwiegen von Gold, Silber, Perlen, manchen noch nicht polierten Edelsteinen. Den Goldbes [...] beim Verkauf von Gold- und Silbergespinsten mit oder ohne Seidenwolle".

AGRICOLA bewegte sich mit seinen praktischen Vorstellungen in einem weit gespannten Netz regionaler Einheiten. In diesem Netz ließen alle Einheiten sich grundsätzlich mit Hilfe ihrer Zahlenverhältnisse (systematische Einteilungen) und Relationen (zweiseitige Vergleichungen) beschreiben. Die Ableitung von Basiseinheiten aus oder mit Hilfe von natürlichen Konstanten kam AGRICOLA nicht in den Sinn - ausgenommen der menschlichen Körper. Elemente der Erdmessung, von denen die antike Literatur berichtet, griff er nicht auf. AGRICOLA zitierte FANNIUS, ohne dessen Auffassung von den Gesetzen der Natur und der Menschen zu reflektieren.

Von Maß und Gewicht im Montanwesen, von Waage und Genauigkeit

AGRICOLAS Bücher zum Bergbau enthalten sehr fachkundige metrologische Exkurse. Sie berühren und erweitern ausgewählte Probleme und überliefern ergänzende Details, die in seinen metrologischen Schriften fehlen.70 Aus letzteren wiederum dienen vor allem die

"Doch wenn gleiches Gewicht in diesen läg' bei der Entstehung, Wahrten die Völker, verschieden sonst, doch gleiche Gewichte. Nun aber wechseln sie. Denn nicht alle gelten nach festem Satz der Natur, vielmehr nach der Menschen Gesetz und Erfindung".

Überlegungen zum Münz- und Edelmetallgewicht sowie der gedrängte Anhang zum regionalen Maßwesen71 dem Verständnis seiner bergwissenschaftlichen Arbeiten.

CARL SCHIFFNER hat in der von ihm und anderen besorgten Ausgabe zum siebten Buch vom Berg- und Hüttenwesen angemerkt, dass AGRICOLA mit Cubitus, Dodrans, Pes, Palmus und Digitus "und auch mit den später verwendeten Maßen und Gewichten nicht die altrömischen Einheiten meint", sondern die Einheiten "zu seiner Zeit und in seiner Gegend". Dieses siebte Buch handelt vom Probierwesen und birgt ausführliche metrologische Exkurse. Man darf aber nicht übersehen, dass auch in den voranstehenden Büchern die Maße zum selbstverständlichen Instrumentarium der Darstellung AGRICOLAS gehören - sei es bei der Beschreibung von Grubenfeldern, der Markscheidekunst oder von Werkzeugen, Geräten und Maschinen. Ein Unterschied liegt lediglich in ihrer ausführlicheren Erörterung im Zusammenhang mit der Erzprobe.

Beim Probieren wurde der Metallgehalt durch das Verschmelzen kleiner Erzmengen festgestellt. Dazu bedurfte es sorgfältiger Untersuchungsmethoden mit Hilfe von Waage und Gewicht. Der Probierer

"soll die Tür zu dem Raum, in dem der Probierofen steht, schließen, damit nicht ein zur Unzeit Hinzukommender seine [...] Aufmerksamkeit stört. Die Waage ist in einem Gehäuse unterzubringen, damit sie nicht, wenn der Probierer die Metalle auswiegt, durch eine Luftzug hin und her bewegt werde; denn das ist wesentlich für die Genauigkeit."

Das Gewicht "von silberhaltigem Gold oder goldhaltigem Silber" bestimmte man mindestens auf ein "Gränchen" genau. Nach dem Abtreiben wurde "jedes Korn mit einem Hammer breit geschlagen und jedes Blättchen zu einem Röllchen zusammengebogen". Schließlich wog man beide Röllchen, musste aber bei jedem "ein Gränchen weniger rechnen wegen des Silbers, das im Golde zurückbleibt und nicht von ihm getrennt werden kann". Von den Probiernadeln stellte man vier Arten her, die feinsten "nur in einer nach Karat gestuften Anzahl".

AGRICOLAS Aufstellung von den Gewichten, die die Berg- und Hüttenleute gebrauchten, berührt die Frage, welche Einheiten um die Mitte des 16. Jahrhunderts real gefertigt und benutzt worden sind. Man hatte "solche von zweierlei Art" - die größeren oder Handelsgewichte sowie die kleineren oder Probiergewichte. Letztere "werden aus Silber oder Messing hergestellt". 100 Zähl-Pfund = 1 Drachme Probiergewicht.

Nach weiteren Erläuterungen zur Einteilung der Mark durch die Silbermünzer in Sachsen, Nürnberg, Köln, Antwerpen und Venedig verweist AGRICOLA für die "größere Mark", die die Münz- und Kaufleute "anwenden, wenn sie große Mengen von Gegenständen zu wiegen haben", auf zwei seiner metrologischen Bücher.

In der Praxis benutzte man beim Probieren drei verschiedene kleine Schalwaagen. Die größte "zum Abwiegen des Bleies und der Zuschläge" konnte je Schale mit 8 Unzen belastet werden. Auf der zweiten wog man "die zu probierenden Erze und Metalle" bis zum Gewicht einer Drachme ein. Die empfindlichste war die dritte, "mit der wir die Gold- oder Silberkörner auswiegen, die beim Abtreiben in der Kapelle hinterbleiben". Folgt man AGRICOLA, dann konnte um die Mitte des 16. Jahrhunderts unter optimalen Bedingungen Edelmetall bis auf 1 Milligramm genau ausgewogen werden.

Von anderer Art waren die Salzmaße, die AGRICOLA erwähnt. Mit einiger Wahrscheinlichkeit lagen seiner Beschreibung die Verhältnisse der Salzsiedung auf der pfännerschaftlichen Saline zu Halle an der Saale zugrunde. Das Maß der Verteilung der Sole war ein Zuber zu 8 Eimern; "ein Eimer fasst 10 römische sextarien". Das fertige Salz wurde in Körbe geschaufelt, "die 2 Fuß hoch, oben ebenso breit und unten 1 Hand breit sind". Aus 37 Eimern Sole ließen sich in Halle zwei kegelförmige Stücke Salz gewinnen. Die beschriebenen Eimer, ihre Teile und Vielfache finden sich in vergleichbarer Größe in Halle und in Lüneburg. Den Körben entsprachen nach Aussehen und Größe in Lüneburg die so genannte Rümpe.

AGRICOLA über die Geschichte von Maß und Gewicht

Eher beiläufig erfahren wir aus einigen seiner Widmungsbriefe und metrologischen Texte, was ein Mann vom Bildungsstande des GEORGIUS AGRICOLA um 1549 vom Ursprung und der Entwicklung der Maße und Gewichte wusste oder wie er sie sich vorstellte.

"Mehrere Völker haben zwar derartige Maße zuerst nach Breite und Länge der menschlichen Gliedmaße festgelegt und sie mit denselben Wörtern wie die Gliedmaßen selbst bezeichnet; sie sind jedoch unterschiedlich, weil die Glieder an einem Menschen selten die gleichen wie an einem anderen sind.

So war das olympische Stadion länger als die andren Stadien Griechenlands, obwohl jedes einzelne 600 Fuß maß. Doch jenes hat HERAKLES mit seinen Füßen gemessen gehabt, diese andre.

Es ist eine bekannte Tatsache, dass die Spanne von der Länge eines jeden von der Natur wohlgebildeten menschlichen Körpers 1/24 beträgt, der Fuß 1/6, die Elle 1/4. PYTHAGORAS kannte diese Verhältnisse der Glieder zueinander; er schloss daher von der Länge des Fußes, die er im Stadion von Olympia beobachtete, auf die Gestalt des Herakles."

AGRICOLA legt noch weitere Spuren, die uns zugleich einen Eindruck von den räumlichen und zeitlichen Akzenten und Grenzen der historischen Argumentation seiner Zeit vermitteln.84 Er weiß um eine Überlieferung, nach der einst die Chinesen.

"wie noch jetzt wilde Völkerschaften, die die öden Steppen Lybiens und die äußersten Länder Skandinaviens bewohnen, die Waren nicht zugewogen, sondern nach dem Urteil über ihr Aussehen die Preise aller Sachen abgeschätzt (haben), und die Albaner haben genaue Maße und Gewichte nicht gekannt". Erst "Kain, Adams Sohn" habe "Maße und Gewichte erfunden". Antike Schriftsteller hätten uns weitere "Erfinder derselben Gegenstände überliefert" - "nämlich der ältere Gellius den Palamedes, Strabon und Plinius den Pheidon von Argos, Diogenes Laertius den Pythagoras".

Nach der Ansicht von AGRICOLA wurden ehedem "Maße und Gewichte festgesetzt", um Recht zu schaffen, um Missbrauch von Maß und Gewicht und um Betrug zu verhüten. "Deshalb verlangen zu wiederholten Malen Moses und die Propheten, die der göttliche Geist getrieben hat, richtige zu verwenden und verbieten die gefälschten". Deshalb auch haben die Athener 15 sog. Maßbestimmer eingesetzt, die dafür sorgten, "dass die Verkäufer dem Gesetz entsprechende Maße und dem Gesetz entsprechende Gewichte hätten" - 10 im Piräus, 5 in der Stadt. "In Rom aber und in den Städten Italiens war dies die Obliegenheit der Ädilen".

Noch zur Zeit AGRICOLAS verwalteten in Venedig "so genannte Ädilen der alten Gerechtigkeit dies Amt". Es "gibt es in allen Reichen der Erde keine Stadt, in der nicht eine Behörde, soweit es möglich ist, Fürsorge trifft, dass von der Größe der Maße bzw. Schwere der Gewichte nichts weggenommen wird".

Das Maßverständnis AGRICOLAS und seiner Zeit war geprägt von der Vorstellung, das Längenmaß leite sich aus den menschlichen Maßen her - es lasse sich zurückführen auf den Menschen als Zahl und rechte Proportion. Die öffentliche Ordnung des Maßwesens in historischer Zeit verstand AGRICOLA hingegen als ein Werk der Gesetzgebung und jeden Missbrauch als einen Verstoß gegen die Schöpfung Gottes. Antike Philosophie, Literatur und Kultur insgemein auf der einen Seite, christliches Gedankengut, römisches Staatsrecht und die Verfassung des (Territorial-)Staates des 15./16. Jahrhunderts samt der Kultur einer stadtbürgerlichen Gesellschaft auf der anderen flossen ein in eine Erfinder- und Schöpfungsgeschichte eines anthropogenen und legalen Maßwesens. Ihren zeitgenössischen Ausdruck haben diese Vorstellungen z. B. in den Figuren des homo ad circulum und homo ad quadratum des LEONARDO oder DÜRERS gefunden.

Wir suchen in AGRICOLAS Werk vergebens nach Phasen des Wandels seit der Zeit der Hochkulturen, nach "fremden", z. B. germanischen Einflüssen im Deutschen Maßwesen, nach spezifisch mittelalterlichen Denkweisen und Entwicklungspotentialen. Seine Maßgeschichte war wesentlich eine Literatur- und Geistesgeschichte; sie zog jedoch in antiker Tradition auch spezifische physikalische Bedingungen, materielle Überlieferungen und den praktischen Maßgebrauch mit in Betracht.

Ein Kommentar

Inzwischen sind nahezu fünf Jahrhunderte vergangen, und wir scheinen immer noch weit entfernt zu sein von einer einvernehmlichen Lösung der Frage, ob und in welchem Stadium der Entwicklung es Ur-Maße gab, die aus den Dimensionen der menschlichen Glieder sich herleiteten und/oder von einzelnen Herrschern gesetzt worden waren oder ob sie nicht vielmehr aus der kollektiven Erfahrung und kumulativen Erkenntnis früher Gesellschaften hervorgegangen sind.

Die Zeugnisse einer Jahrtausende alten Konstanz von Basisgrößen im Maßwesen sind inzwischen unübersehbar geworden. Sie halten der wissenschaftlichen Kritik stand. Mehr noch - sie haben alle historische Plausibilität für sich. Und dennoch ist in den historischen, naturwissenschaftlichen und technischen Wissenschaften die These noch immer geläufig, wir hätten es zumal in Mittelalter und Neuzeit in Europa grundsätzlich mit unsystematischen und ungenauen Einheiten zu tun. Man hat sich nicht selten mit plausiblen Antworten auf falsche, auf unvollständige oder auf undifferenzierte Fragen zufrieden gegeben. Eine assoziative und eine historisch kritische, eine mathematisch und eine sozi-ökonomisch motivierte Metrologie gelangte und gelang nicht zu denselben Ergebnissen. Schon die nahe liegende Feststellung, dass alle numerischen Überlieferungen sich entweder - mit Hilfe von Rechensystemen - der Einteilung (von Maß- und Gewichtssystemen) oder - mit Hilfe einfacher ganzer Zahlen - der Vergleichung (ausgewählter Leiteinheiten) bedienen, bringt eine erste Ordnung in die Masse der numerischen Fakten. Dass eine frühe Ordnung von Längenmaßen sich einst der Proportionen, der Einteilung des menschlichen Körpers als System bedient haben könnte, ist plausibel.

Dass die Vielfalt der Fußmaße in historischer Zeit sich uns dazu in einem Netz konstanter und ganzzahliger Relationen erschließt, ist ebenfalls nicht länger zu bezweifeln. Kaum jemand wird widersprechen, wenn wir in der Vielfalt eine jüngere Entwicklung vermuten. Aber erst die erhellende Einsicht, dass das systematische Vergleichen über Raum und schließlich über Zeiten hinweg ein qualitativer Sprung im Maßgebrauch war, eine höher entwickelte Fähigkeit zur Erkenntnis und Kommunikation voraussetzte und ebendiese dokumentiert, verweist die allzu einfachen geschichtlichen Vorstellungen des AGRICOLA und seiner Nachfolger in die Kategorie der vorwissenschaftlichen Erklärungen.

Die Entwicklung von Maß und Gewicht war nicht nur von Herrschaft und Gesetz, sondern wesenhaft von der Formierung einer Gesellschaft insgesamt, d.h. von ihren Ordnungen und kollektiven Erfahrungen abhängig und ist von diesen bestimmt worden. Die Wurzeln des mittelalterlichen und neuzeitlichen Maßwesens sind nicht nur in der Entwicklung der geistigen, sondern auch - je älter desto zwingender - der materiellen Kultur zu suchen - im Umgang mit den Dingen der Natur und in der wachsenden Einsicht in die Natur der Dinge. Spätestens seit der Zeit der Hochkulturen vollzog sich diese Entwicklung auf einem kulturellen Niveau, das in den elementaren Maß- und Gewichtssystemen eine rationale Diversifizierung der Einheiten gleichen Namens ermöglichte - in einem Netze von Vergleichungen mit Hilfe der Zahl. Diese Fähigkeit zum rationalen Vergleichen war von dynamischer Art.

Die Metrologie AGRICOLAS und die Wissenschaftsgeschichte

Deutsche Maße und Gewichte des 16. Jahrhunderts in der Tradition antiker Einheiten und Systeme, dazu als Zeugnisse antike Münzen, reale Maßstäbe und Gewichte - die Methoden AGRICOLAS und seiner Zeitgenossen haben offensichtlich nicht nur den Boden für die jüngere historisch metrologische Forschung seit dem 19. Jahrhundert bereitet, sondern auch für deren Vorurteile. Heben wir das in unserem Zusammenhang Wesentliche hervor.

Für JOHANNES KEPLER war AGRICOLA zusammen mit BUDAEUS einer jener Autoren, von denen er sich um 1616 Rat versprach, als er seinerseits die wahre Länge des römischen Fußmaßes zu rekonstruieren suchte. JOHANN CASPAR EISENSCHMID reihte noch um 1737 GEORGIUS AGRICOLA zusammen mit BARBARUS, BUDAEUS, ALCIATUS, PORTIUS und anderen in die Gruppe jener "doctissimi quidam viri" ein, die "jam ante ducentos plus minus annos, post renata literarum bonarumque artium studia", sich ganz der Erforschung von Maß, Gewicht und Geld in den Werken der alten Autoren gewidmet hatten.

Die moderne Geschichtswissenschaft des 18./19. Jahrhunderts entwickelte sich aus der Philologie, die Alte Geschichte aus der Erforschung antiker Literaturen. Sie wusste um ihre Wurzeln - um die "Herstellung der Literatur" in der Renaissance. BARTHOLD GEORG NIEBUHR schrieb um 1830 - und um kein Wort lässt dieses Zitat sich kürzen:

"Die römische Geschichte ward während der beiden ersten Jahrhunderte nach der Herstellung der Literatur mit der nämlichen Unterwerfung des Geistes und Urteils unter den überlieferten geschriebenen Buchstaben und der nämlichen Beschränkung auf seinen Umfang bearbeitet, welche in allen übrigen Disziplinen herrschten. Der Anspruch, die Glaublichkeit der alten Schriftsteller, den Wert ihrer Zeugnisse, prüfen zu wollen, würde als ruchlose Vermessenheit entsetzt haben: die Aufgabe war, was sie meldeten, trotz aller Evidenz, zu vereinigen[...]"

Auch AUGUST BÖCKH stützte sich in seiner grundlegenden Arbeit aus dem Jahre 1838 erklärtermaßen noch auf die Forschungen seit "der Wiederherstellung der Wissenschaften" im 16. Jahrhundert. Dabei erwähnte er HERMOLAUS BARBARUS und ANGELUS POLITIANUS, nicht jedoch GEORGIUS AGRICOLA. Er zog "theils die Schriftsteller, theils übrig gebliebene Denkmäler, in welchen Gewichte und Maße dargestellt sind" zu Rate.90 Die ältere philologisch-historische Metrologie war nach seinem Urteile ein "Luftgebäude, aus unbegründeten Annahmen leicht zusammengefügt". Die Forschungen hätten erst seit dem "vortrefflichen" LETRONNE (1817) "einen richtigern Gang genommen".

Als FRIEDRICH HULTSCH 1862 die Literatur seit BUDAEUS knapp vorstellte, erwähnte er von AGRICOLA lediglich die fünf Bücher des Jahres 1533 mit ihren Titeln.

Erst im Jahre 1957 hat V. ALBERTI "erstmalig wieder in einem größeren Nachschlagewerk zur geschichtlichen Illustration auf die Forschungen AGRICOLAS zurückgegriffen, seine Leistungen gewürdigt". Bei aller Wertschätzung der Arbeitsweise und des Kenntnisreichtums von AGRICOLA hält V. ALBERTI sich jedoch mit einem abschließenden Urteil zurück. Er sieht die "Weitläufigkeit", in die sich AGRICOLA "bei seiner philologischen Sorgfalt" verliert. "Nur nach sehr eingehendem Studium aller seiner Arbeiten de mensuris et ponderibus und späterer Schriften mit ähnlicher Thematik" werde es möglich sein, "genaue Kenntnis über die Maße und Gewichte der Antike zu erhalten und vor allem das Gewirr der Ansichten (Budaeus, Portius und Alciatus) und der daraus entstandenen Verwechslungen zu entflechten".

Die metrologischen Schriften AGRICOLAS zeugen von einer noch nicht überwundenen Kluft zwischen Theorie und Praxis, zwischen Literatur und Sachüberlieferung, Philologie und Naturforschung im 16. Jahrhundert. Nennen wir AGRICOLA einen Humanisten und Naturforscher, dann fügen wir etwas zusammen, das in der Antike und auch noch im Mittelalter nicht zusammen gedacht wurde - die artes liberales und die artes mechanicae.

Seine Bücher zur Metrologie und zum Bergbau bezeugen aber zugleich auch die Verschriftlichung einer sich wandelnden materiellen Kultur, und damit auch einen Wandel in der Naturerkenntnis mit Hilfe von Maß, Gewicht und Zahl in der Gesellschaft des 16. Jahrhunderts. Seine Reflexionen führen uns ein in das widerspruchsvolle Maßdenken seiner Zeit. Der Widerspruch war dem naturwissenschaftlichen wie auch dem aufkommenden neuen ökonomischen Denken im 16. Jahrhundert noch inhärent.

Professor em. Dr. Harald Witthöft

Georgius Agricola


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